Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat endlich die lang erwartete Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes von 6 % auf Steuernachzahlungen und Steuererstattungen gefällt. Das Ergebnis klingt zunächst danach, als sei es im Interesse der Steuerpflichtigen, tatsächlich fällt es aber weitgehend zugunsten des Fiskus aus:
Der Zinssatz von 6 % ist für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2013 (noch) verfassungsgemäß.
Für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis 31.12.2018 ist der Zinssatz zwar verfassungswidrig, er ist aber aus Gründen des Bundeshaushalts weiterhin anzuwenden.
Für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 darf der Zinssatz von 6 % nicht mehr angewendet werden, sondern der Gesetzgeber muss bis zum 31.7.2022 einen neuen Zinssatz beschließen.
Ein Sieg für die Steuerzahler kann also allenfalls für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 eintreten. Allerdings setzt dies im konkreten Fall voraus, dass die Zinsfestsetzung entweder noch nicht erfolgt ist oder aber nicht bestandskräftig ist, weil sie mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen worden ist oder der Steuerpflichtige Einspruch eingelegt hat.
In den letzten Jahren haben die Steuerberater viel Zeit in das Studium der zahlreichen BFH-Entscheidungen und BMF-Schreiben zur Zinsproblematik sowie in die Einlegung eines fristgerechten Einspruchs gegen die Zinsfestsetzung investieren müssen. Dabei waren die Berater nicht nur gegenüber den Finanzämtern gefordert, sondern auch gegenüber den Gemeinden, die die Gewerbesteuer- und die Zinsbescheide dazu erlassen.
Dieser erhebliche Aufwand hätte reduziert werden können, wenn das BVerfG schneller entschieden hätte – eines der beiden Verfahren war immerhin sieben Jahre lang anhängig – oder wenn der Gesetzgeber zwischenzeitlich reagiert und den Zinssatz herabgesetzt hätte. Denn angesichts der Entstehung von Negativ- oder Strafzinsen im Bankbereich war zu erwarten, dass der Zinssatz von 6 % nicht zu halten sein würde.
Natürlich ist mit dem Beschluss des BVerfG das Zinsthema nicht abgeschlossen: Denn zunächst einmal muss den Mandanten nun klargemacht werden, dass der Zinssatz für die Verzinsungszeiträume 2014 bis 2018 zwar „offiziell“ verfassungswidrig ist, aber dennoch angewendet werden kann, um den Bundeshaushalt nicht zu sehr zu belasten.
Weiterhin bleibt unklar, was mit den Erstattungszinsen geschehen wird: Auch diese sind – ab 1.1.2019 – verfassungswidrig, da sie zu hoch sind. Wird die Finanzverwaltung versuchen, die Zinsfestsetzungen zuungunsten der Steuerpflichtigen zu ändern, in denen für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 Erstattungszinsen festgesetzt worden sind? Falls ja, wäre dagegen § 176 Abs. 1 Nr. 1 AO vorzubringen, der an sich vor einer nachteiligen Änderung schützt.
Schließlich sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes im § 238 AO nur der erste Schritt in einer Reihe weiterer Rechtsfragen gewesen sein dürfte, in denen es um Zinssätze geht. Beispielhaft erwähnt seien neben den Stundungs-, Aussetzungs- und Hinterziehungszinsen der §§ 234, 235 und 237 AO die bilanziellen Abzinsungszinssätze für unverzinsliche Verbindlichkeiten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG: 5,5 %), Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG: 5,5 %) oder Pensionsrückstellungen (§ 6a Abs. 3 Satz 3 EStG: 6 %) sowie die bewertungsrechtlichen Zinssätze (§ 12 Abs. 3 BewG: 5,5 %).
Der Gesetzgeber hat das Thema „Zinssatz“ nun jahrelang ausgesessen. Nun ist es aber an der Zeit für einen gesetzgeberischen Rundumschlag, Zinssätze auch über die AO-Regelungen hinaus verfassungskonform anzupassen.
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